Andacht vom Pastor

Wilhelm Voigt ist ein Pechvogel! Seine Armut hat ihn zum Kleinkriminellen gemacht. Im deutschen Kaiserreich wird das mit Zuchthaus bestraft. Dort sitzt er nun und muss tagein tagaus Fußmatten flechten. Nur am Sonntag geht es zur Abwechslung in die Kirche. Bis hierher hat mich Gott gebracht in seiner großen Güte. So singen dort die Zuchthäusler in Carl Zuckmeyers berühmtem Schelmenstück „Der Hauptmann von Köpenick“.

Ähnlich absurd wirkt auf mich die Szene, zu der unser Monatsspruch für August gehört. Da steht der Langzeit gefangene Paulus vor König Ag rippa II. und sagt: Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier und bin sein Zeuge. Eigentlich ist die Lage des Apostels Paulus zum Verzweifeln. Im Jerusalemer Tempel war es zum Tumult gegen ihn und seine Botschaft gekommen. Nur durch das Eingreifen der römischen Besatzung wurde er vor der Steinigung bewahrt. Aber seitdem sitzt er in Gefangenschaft und sein Prozess zieht sich elendig in die Länge. Der römische Statthalter weiß nicht, was er mit Paulus anfangen soll. Immer wieder muss Paulus seine Botschaft erklären und immer wieder fordert die jüdische Geistlichkeit seine Auslieferung. Ein neuer Statthalter versucht schließlich den Prozess zum Abschluss zu bringen, indem er Paulus vor den jüdischen König Agrippa stellt. Der ist gleichermaßen im römischen Recht wie im jüdischen Gesetz bewandert. Aber statt, dass Paulus ihm mit bitteren Worten seine missliche Lage klagt, erzählt er ihm von Gottes wunderbarer Führung und Hilfe. Er schwärmt so sehr von der Kraft des auferstandenen Christus, dass der Statthalter ihn schließlich unterbricht: „Du bist ja ganz von Sinnen. Das große Wissen macht dich wahnsinnig!“

Ja, es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gefangener nach langer Haft durchdreht. Aber Paulus ist bei klarem Verstand. Er kann auch im finsteren Tal Gottes Nähe und Hilfe spüren. Darum verzweifelt er nicht. Er vertraut darauf, dass Gott ihn auch weiterhin begleitet und bewahrt.

Mich fasziniert dieses Vertrauen! Und ich kann davon lernen! Wenn ich in schwierigen Situationen bin, liegt es so viel näher, dass ich damit hadere und mich beklage. Dabei zeigt mir der Rückblick eigentlich genau dasselbe, das auch Paulus sehen konnte:

Gottes Hilfe habe ich erfahren bis zum heutigen Tage!

Manchmal geben mir gerade die Zeiten, in denen ich mich ausgebremst fühle, die Gelegenheit zu solcher Rückschau: Was habe ich denn schon erlebt? Wie hat mir Gott denn schon geholfen? „Count your blessings!“ nennt das ein altes Gospellied. „Zähle deine Segnungen auf!“ Das gibt mir eine neue Perspektive und bewahrt mich vor Mutlosigkeit.

Vielleicht sollte ich das alte Lied mal wieder singen:

Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte. Bis hierher hat er Tag und Nacht bewahrt Herz und Ge müte. Bis hierher hat er mich geleit‘, bis hierher hat er mich erfreut, bis hier her mir geholfen!“ (Im Gesangbuch steht es unter der Nummer 368.)

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich gute Rückblicke und hoffnungsvolle Aussichten!

Euer Pastor Rainer Mittwollen

HERZLICHE EINLADUNG

zum Gottesdienst und Kindergottesdienst
an jedem Sonntag um 10:30 Uhr